Carsten Geißler, auf dessen Interview mit der Freien Presse wir uns im Artikel „Kein Ende bei der Diskussion um die Rotwildjagd“ bezogen, hat uns einen Leserbrief geschrieben. Er erklärt darin, dass wir die Zitate des Herrn Dr. Wölfel entgegen dessen eigentliche wissenschaftlichen Ansichten in den Text eingebaut hätten. Zur Untermauerung listet Carsten Geißler eine Reihe weiterer Zitate des Wildbiologen auf. Wir nehmen dazu Stellung.
Zitat Dr. Wölfel (nach Carsten Geißler): „Aus Überzeugung sei hier die grundsätzliche Aussage gemacht (gewagt), dass es ohne die Jagd bzw. ohne die Freude des Menschen an der Jagd, in der Kulturlandschaft Mitteleuropas wohl kaum mehr eine Wildart wie den Rothirsch gäbe.“
Hier stellt sich die Frage: Warum gäbe es ohne Jagd in der Kulturlandschaft keinen Rothirsch mehr? – weil ihn Bauern und Förster sonst aufgrund der Schäden an Wald- und Feldflur ausgerottet hätten? Wir können den Rothisch dann wohl nur beglückwünschen, dass er ein Geweih zwischen den Lauschern trägt, das ihn für den Jäger stets attraktiv machte. Die Ausrottung von Wolf, Bär und Luchs durch die Jagd zeichnen ein anderes Bild darüber wie ernst man es mit der Erhaltung der Artenvielfalt meinte und nach wie vor meint. Herr Geißler, niemand – weder der ÖJV noch der Staatsforst – möchte das Rotwild ausrotten. Es geht lediglich darum, welche Dichte an Rotwild der Wald verträgt. Bitte verwechseln sie Artenvielfalt nicht mit Vielfalt einer Art. Oder wie Herr Dr. Wölfel selbst schreibt:
Dr. Wölfel, ÖKOJAGD 4|2014: „Die Massenhaltung von Wildtieren in Jagdrevieren ist mit einem ethischen Grundgedanken der Jagd, von Natur- und Tierschutz genauso wenig vereinbar wie landwirtschafliche Zucht- Fütterungs- oder Stallpraktiken und tierärztliche Manipulationen.“
In der nächsten Aussage von Herrn Geißler:
Zitat Dr. Wölfel (nach Carsten Geißler): „Bewegungsjagden, egal in welcher Form durchgeführt, haben gegenüber Ansitz und Pirsch einen entscheidenden Mangel, sie entbehren der Möglichkeit einer langen, eingehenden Wildbeobachtung.“
Das können wir nur bestätigen. Zumindest meistens – und vorwiegend in Feldrevieren. Ansitz und Pirsch haben aber auch einen entscheidenden Mangel: Sie sind ineffizient. Wer schon einmal in struktur- und deckungsreichen Wäldern gejagt hat, wird zudem bestätigen, dass es durch die Überführung in naturhnahe Wälder erheblich schwerer geworden ist dort Wild über einen längeren Zeitraum beobachten zu können. Die Zukunft liegt zwangsweise in der Drückjagd. Das untermauerte sowohl Herr Wotschikowsky beiläufig im Winterkolloquium am 21. Januar 2015 in Tharandt, wie auch Herr Dr. Wölfel selbst:
Dr. Wölfel, ÖKOJAGD 4|2014: „Spätestens nach der Hirschbrunft sollte man den Ansitz nicht mehr als ausschließliche Jagdmethode durchführen, sondern zielführend auch gute und großräumig angelegte Bewegungsjagden durchführen, die aber nicht von Unkundigen nach dem Motto ‚das probiere ich mal‘, sondern nur unter Anleitung erfahrener Spezialisten ausgerichtet werden dürfen. Eine dosierte Beunruhigung von Rotwild, einmal im Jahr pro Flächeneinheit, führt eben in der Regel nicht zum Sprengen von Mutter und Kalb, sondern meist zu einer engen Folge im Schulterschluss. Es kann hier einigermaßen gut angesprochen werden, ob ein Alttier führt oder nicht, weder besser noch schlechter als dies beim Ansitz möglich ist. Dort ‚bummelt‘ das im Herbst bereits selbstbewusste Kalb nicht selten weite Strecken und längere Zeiträume hinter dem Alttier her. Bei keiner Jagdform ist deshalb im Herbst nach der Rotwildbrunft auszuschließen, dass irrtümlich auch einmal das Alttier als vermeintlich nicht mehr führend vor dem Kalb erlegt wird.“
Außerdem nennt er als Nachteil der permanenten Ansitzjagd:
Dr. Wölfel, ÖKOJAGD 4|2014: „Auch ein Jagddruck rund um das Jahr beispielsweise durch den Ansitz als ausschließliche Jagdmethode, zwingt Rotwild in die Deckung, auch dadurch werden Rudel gesprengt. Rudel werden bei dem Augentier Rotwild durch Sichtkontakt gebildet und erhalten. Freiflächen vereinen, Dickungen trennen.“
Es folgen zwei weitere Zitate von Herrn Geißler mit dem Tenor:
‚Die Vorstellungen und Zielsetzungen zu einem ökologisch orientierten Waldbau können nur im Einklang mit einem ökologischen Programm der Wildbestandesregulation realisiert werden. Andernfalls werden Wildschäden nicht linear mit einer Bestandesverringerung sinken, wenngleich Reduktionsabschüsse vielerorts Voraussetzung zur Durchsetzung forstwirtschaftlicher Ziele sind.‚
Anders formuliert: Wilddichte und die Art und Weise der Jagdausübung sind zwei Faktoren der Gleichung, die zum Erreichen der Ziele führen. Und wie sollte die Jagd dann korrekt ausgeübt werden? Die Antwort findet sich ebenfalls in den Zitaten weiter oben:
- Weniger Jagddruck. Sprich: mehr Ruhe durch weniger Ansitz (auf alle Wildarten) und dafür Bewegungsjagden mit Spezialisten und guten Stöberhunden
- keine Fütterung
Also genau jene Dinge, die von Herrn Geißler und der Jägerschaft kritisiert wurden. Der Forstbezirk Marienberg hat hingegen folgerichtig in den Rotwildrevieren eine Jagdruhe für alle Wildarten in den Monaten Februar – Mitte April verordnet.
Sehr geehrter Herr Geißler, wir hoffen damit ihre Fragen und Kritik beantwortet zu haben. Ihr ÖJV Sachsen
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Anhang: Der Leserbrief von Carsten Geißler (ungekürzt)
Anmerkung: Wir beziehen uns auf den Artikel von Herrn Dr. Wölfel ‚Wieviel Alttier braucht ein Kalb – Kritische Anmerkungen zum Mutterschutz‚ in der ÖKOJAGD 4|2014. Dabei handelt es sich um ein ergänztes und aktualisiertes Referat vor der Arbeitsgemeinschaft Lebensraum Rotwild am 11-12. Juni 2006 in Wolfsburg – Unkeroda, sowie den Aufsätzen: ‚Leittiere schießen – und das Alttier vor dem Kalb?‘ in Die Pirsch 22/1989; Niedersächsischer Jäger 22/1989; Der Anblick 2/1990.