Rotwildproblematik, made in Germany?

Wieviel Rotwild verträgt der Wald? Seit dem Jahreswechsel ist diese Frage in Sachsen neu entbrannt. Hegegemeinschaften und Kreisjagdverbände stempeln die Reduktionsabsichten der Forstbetriebe als wirtschaftliche Profitgier ab und argumentieren, dass hohe Wilddichten doch in anderen Ländern zum Wohle aller Beteiligten möglich wären. Ist dieses Problem also ein rein deutsches? Wir werfen einen Blick auf Schottland, wo Rotwild fast flächendeckend vorkommt.

Schottland

Sowohl Deutschland als auch Schottland haben gemein, dass die Schalenwildbestände in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen sind. In Schottland ist die Zahl des Rotwildes seit 1960 um 80% auf heute geschätzte 400.000 Stücken gestiegen. Das ist weit mehr als in Deutschland. Unterschiede zeigen sich jedoch bei der Beschaffenheit des Lebensraumes. Durch große Rodungen ist Schottland mit 14% Waldanteil nur halb so stark bewaldet wie Deutschland. Drei Viertel des Landes wird landwirtschaftlich genutzt, davon wiederum die Hälfte für Viehweide. Trotz des geringen Waldanteils verfügt Schottland jedoch über Urwaldrefugien. Der Großteil dieser verbliebenen Urwälder konzentriert sich auf die abgelegenen Highlands. In den Highlands befindet sich allerdings auch das zahlenreichste Vorkommen des Rotwildes. Funktioniert also Urwald mit hohen Rotwilddichten in Schottland?

Jagdtourismus vs. Naturwald

Nein, tut es nicht. Wissenschaftliche Studien von 2014 kommen zum Ergebnis, dass der Urwald stetig aufgrund von übermäßigem Verbiss von Rotwild und Rehwild verloren geht. Das Fazit der Wissenschaftler: Das Jagdregime sollte dringend von einem wie bisher freiwilligen hin zu einem regulierenden Ansatz umgestellt werden.

schottland
Acht Jahre lang wurde geforscht und Daten erhoben. Das Ergebnis 2014: Die letzten Urwälder Schottlands werden durch Verbiss von Rot- und Rehwild zerstört. Warum ist das so? Zitat ‘sb-jagdreisen.de’: “Es gibt soviel Rotwild, daß jeder halbwegs fitte Jäger jeden Tag einen Hirsch schießen kann.”

Nun argumentieren Jäger weltweit dass sie auf die Jagd gehen, um die regulierende Wirkung fehlender Beutegreifer in Natur- und Kulturlandschaft zu ersetzen. Warum wird dann in Schottland der Rotwildbestand nicht gesenkt, wenn er selbst im Naturwald als schädlich erkannt wurde, also fern ab jeglicher wirtschaftlicher Profitgier? Die Antwort ist einfach gefunden: Auch hier handelt es sich wieder im Profitgründe – doch diesmal in Form von Jagdtourismus. Dieser stellt in Schottland ein ganzen Wirtschaftszweig namens ‘red deer stalking’ (‘Rotwildpirsch’) dar. Vollpension, Lachsfischen im nächstgelegenen Fluss, Niederwaldjagd und Jagdführer auf Wunsch inklusive. Man versucht auch gar nicht erst, diese Aktivitäten hinter dem Deckmantel irgendeiner Art Hege zu verstecken. Die Anwesen, auf denen man solche Jagdurlaube buchen kann, heißen bezeichnenderweise ‘sporting estate‘ (‘Sportanwesen’) und sind flächendeckend vorhanden. Und wann immer Naturschützer regional den Vorschlag der Bestandesregulierung zum Schutz der Ökosysteme einbringen, gibt es einen Aufschrei bei den umliegenden Sportanwesen. Schließlich zahlt der Jagdgast lieber für einen alten und starken Hirsch. Man kann sich leicht ausrechnen, dass die Wilddichte künstlich hoch gehalten werden muss, damit auch für jeden Jagdgast ein starker Hirsch vorrätig ist. Zitat sb-jagdreisen.de: “Es gibt soviel Rotwild, daß jeder halbwegs fitte Jäger jeden Tag einen Hirsch schießen kann.” Eingriffe in der Jugendklasse und bei den sich reproduzierenden weiblichen Stücken, die naturgemäß die höhere Sterblichkeit aufweißen, finden selten oder überhaupt nicht statt. Trotz Wirtschaftskrise ist die Nachfrage und der Preis steigend.

Fazit

Der Verbiss und Verlust von Mischbaumarten durch überhöhte Wilddichten stellt nicht nur in Wirtschaftswäldern, sondern auch in Naturschutzgebieten eine Bedrohung dar. Es handelt sich auch keineswegs nur um ein regional beschränktes Problem. Dabei versteht sich der gemeine Jäger doch durchaus als Naturschützer. Wollen wir als Jäger unsere Glaubwürdigkeit bewahren, sollten wir auf eine solche Praxis zur massenhaften Zucht von Urlaubstrophäen auf Kosten der Biodiversität verzichten.