Rotwild verdirbt den Charakter – Petition gegen Bergwaldsanierung in Bayern

Alpiner Bergschutzwald benötigt zum dauerhaften Erhalt seiner Lawinenschutzfunktion eine kontinuierliche Verjüngung der Bäume. Bleibt die Verjüngung – beispielsweise aufgrund von hohem Verbissdruck – aus, entstehen Lücken im Bestand, die wiederum vergrasen. Auf diesen Grasteppichen können schließlich Schneebretter abgleiten und Lawinen auslösen, die Häuser und Straßen im Tal unter sich begraben.

Bayern verfügt über viele solch gefährdeter Flächen. Die bekannteste davon befindet sich an der „Weißwand“ über der Alpenstraße zwischen Inzell und Berchtesgarden. Jahrelange Hege und Fütterung von Rotwild und Gams hatten den Bergwald dort derart devastiert, dass ein Sanierungsprogramm von 55 Millionen Mark nötig wurde. Auf gerade einmal 400 Hektar Fläche. Georg Meister hat in seinem Buch „Tatort Wald“ vorgerechnet, dass in den zurückliegenden 100 Jahren von den umliegenden Jagdpächtern rund 400.000 Mark Jagdpacht gezahlt worden waren. Die Ausbeute dafür waren 2.400 Kilogramm Trophäenmasse von Gams und Hirsch, ebenfalls summiert für 100 Jahre. Abzüglich der gezahlten Jagdpacht in dieser Zeit bedeutete die Schutzwaldsanierung also Kosten in Höhe von knapp 23.000 Mark pro Kilo Trophäengewicht – wohlgemerkt: für den Steuerzahler. Nur für das Edelhobby einiger weniger Jäger. Das betreffende Kapitel heißt also nicht ohne Grund „Jagdtrophäen mit Gold aufwiegen“.

Ein Sprung in die Gegenwart. An der Kampenwand, Staatsforstbetrieb Ruhpolding, bahnt sich ein ähnliches Szenario an. Die Förster bemängeln eine Entgleisung der Situation, da selbst die Fichtennaturverjüngung starken Verbiss aufweist. Der Bestand an Rotwild, geschätzt auf 5 Stück Rotwild pro 100 Hektar, soll darum auf 2,5 reduziert werden. Das wären immer noch rund fünf mal mehr Tiere im Vergleich zum Vorkommen der Art in natürlichen Urwäldern. Die örtliche Jägerschaft ist natürlich empört, Tierschützer sprechen bereits von einer Ausrottung. Sie haben darum Unterschriften zum Erhalt eines Wintergatters und des Rotwildes gesammelt und dem Landtag übergeben. Gestern war dieser Streit Thema im Bayerischen Rundfunk in der Sendung „Kontrovers“.

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Durch Rotwild mehrfach verbissene Fichte. Die Förster stehen in einem überalterten Fichtenbestand. Verjüngung ist nicht zu sehen. Dafür aber eine dicke Grasschicht.

Im Video sieht man die Förster in einem überalterten Bestand ohne Verjüngung – dafür aber mit einer dicken Grasdecke. Trotz dieser klaren Anzeichen echauffiert sich im Beitrag eine Biologin des Aktionsbündnis „Wildes Bayern“ darüber, dass nur Bayern im Vergleich zu ganz Europa nicht in der Lage wäre, Forstwirtschaft mit „den Tieren“ zu betreiben. Unser Archiv an Fernsehbeiträgen und Presseartikeln belegt klar das Gegenteil – Ausartungen der Rotwildhege führen Europaweit zu Schäden an Naturwäldern, zum Artenschwund und zu Entmischung. Es ist zudem traurig, dass eine Biologin die Wertigkeit eines Ökosystems an der zahlenmäßigen Häufigkeit einer einzigen Tierart festsetzt und die Flora komplett überblendet.

Noch entsetzlicher wird dieses Thema beim Blick in die Jagdpresse. Beispiel: Wild und Hund veröffentlichte 2012 einen Beitrag über die angeblichen Jagdlichen Vergehen, die unter dem Schutzmantel der Schutzwaldsanierung ablaufen würden. Der Tenor: Die Förster hätten seit Jahren vor lauter Dummheit Bäume an den falschen Standorten gepflanzt. Diese würden nun kümmern und das Wild müsse als leidtragender Schuldiger herhalten.

Stellen wir eines klar: Bäume im alpinen Steilhang wachsen von Natur aus langsam. Das ist nur logisch, denn es ist dort kalt, die Vegetationsperiode kurz, die Sonne selten der Boden extrem flachgründig. Wer würde dort extreme Zuwächse erwarten? Förster rechnen daher mit 20 Jahren, bis aus Sämlingen eine schützende Baumschicht entstanden ist. Wird dieser Wuchs zusätzlich durch stetigen Verbiss gehemmt, geht der Schutzwald zu Grunde. Das jahrzentelanger Verbiss aber überhaupt die primäre Ursache für die Notwendigkeit der Wiederaufforstungen war, wird in der Wild und Hund komplett verschwiegen.

Die Schlussfolgerung der Jagdpresse: Die Förster wären zu wenig Biologe um zu beurteilen ob eine Wildart in ein Biotop gehöre oder nicht. Auch wenn sich diese Frage überhaupt nicht stellt – denn auch an der Weißwand gibt es trotz großzügiger Freigaben noch Gams und Rotwild, nur eben nicht in den Dichten, die sich der gemeine Hobbyschütze erträumt – so zeigt diese Aussage doch auch den unterschiedlichen Standard, mit dem man Maß anlegt. Sobald es sich um den Wolf handelt, ist man seitens der Jäger schließlich nicht zögerlich mit Abschussforderungen und Ausbreitungsverboten – obwohl Wildbiologen hier seit Jahren genau das Gegenteil erläutern. Traurig.