Rotwild im Erzgebirge: Hegegemeinschaft jetzt auch mit Forschungsprojekt unzufrieden

Der Streit um die Bejagung des Rotwildes im Erzgebirge dauert nach wie vor an. Wir fassen an dieser Stelle die Entwicklungen der letzten Wochen kurz zusammen. Alle Punkte können sie nachlesen, wir haben die Quelle jeweils verlinkt. Für den Fall, dass sie den Start verpasst hatten: Eine Vereinigung aus Mitgliedern der Hegegemeinschaften sowie einiger Kreisjagdverbände unterstellt dem Staatsbetrieb Sachsenforst, unter dem Deckmantel des Waldumbaus einen radikalen Abschuss des Rotwildes zu verbergen.

26. September, Freie Presse: Karsten Bergner, Vorsitzender der Hegegemeinschaft schlägt ein Forschungsprojekt zur Lösung des Konfliktes vor. Die Federführung solle dabei die TU Dresden übernehmen. Finanzierung und Methodik des Projektes sind jedoch unklar. Fragestellungen, die das Projekt beantworten soll:

  • Raum-Zeit-Dynamik des Rotwildes
  • Notfütterungskonzept
  • verträgliche Wilddichten in verschiedenen Biotopen

08. Oktober, Freie Presse: Der Staatsbetrieb Sachsenforst kündigt ein Rotwild-Forschungprojekt an. Die Federführung übernimmt dabei die TU Dresden, Lehrstuhl für Forstzoologie. Inhaltliche Schwerpunkte, die das Projekt beantworten soll:

  • Größe der Teilpopulationen des Rotwildes ( = wo gibt es wieviel Rotwild?)
  • Auswirkungen von Jagd und Erholungssuchenden auf Raum-Zeit-Dynamik des Rotwildes
  • Ansprüche des Rotwildes an den Lebensraum

Karsten Bergner begrüßt, dass die Einsicht über die Notwendigkeit eines solchen Projektes bei Sachsenforst gereift sei, schließt eine der Teilnahme der Hegegemeinschaft nicht aus, möchte aber sein eigenes Projekt vorantreiben.

15. Oktober, Freie Presse: Sachsenforst veröffentlicht eine Pressemitteilung über die Ergebnisse des Verbiss- und Schälgutachtens. Die Freie Presse greift diese Thematik auf, interviewt den Geschäftsführer. Dieser erwähnt dabei auch die zukünftige Jagdstrategie mittels bald anstehender Drückjagden und das kürzlich angeschobene Projekt. Karsten Bergner hat seine Meinung inzwischen geändert. Das Projekt sei nur dazu da die Öffentlichkeit ruhig zu stellen, die inhaltlichen Schwerpunkte falsch gesetzt. Er fordert die Erforschung folgender Fragestellungen:

  • Wo gibt es wieviel Rowild?
  • Wo muss gefüttert werden?
  • welches Bejagungskonzept ist korrekt?

15. Oktober, Pressemitteilung Karsten Bergner: Jetzt ist nicht nur der Inhalt falsch, sondern auch der Kooperationspartner. Das Forschungsprojekt sei keine Aufgabe für Zoologen, sondern für “Profis im Wildtiermanagement”. Außerdem: Ein vom Sachsenforst bezahltes Projekt wäre von vorn herein methodisch verfälscht. Es müsse von einer unabhängigen Institution geleitet werden, nämlich der Dozentur für Wildbiologie der TU Dresden.

Soweit zu den aktuellen Entwicklungen.

Die Hegegemeinschaft ist also unzufrieden mit der Wahl der forschenden Institution. Ihr eigener Vorschlag ist Herr Prof. Herzog, Leiter der Dozentur für Wildökologie und promovierter Forstwissenschaftler. Die Kooperation mit Sachsenforst erfolgt jedoch mit Frau Prof. Roth, Leiterin der Professur für Forstzoologie und promovierte Biologin. Man sollte nicht unerwähnt lassen, dass beide Einrichtungen zur Fachrichtung Forstwissenschaften der TU Dresden gehören und Luftlinie keine 200m auseinander liegen. Auch sollte mal wissen: der Haushalt der TU Dresden ist beschränkt. Forschungsprojekte gibt es nur über Drittmittel, die irgendwer extern bezahlen muss. Das gilt auch für Prof. Herzog. Hier ist also niemand mehr oder weniger ‘unabhängig’.

Bleibt die Frage, ob die Profession der leitenden Forscher einen maßgeblichen Unterschied ausmachen könnte. Frau Prof. Roth leitet die Arbeitsgruppe Wildtierforschung und kann zahlreiche Publikationen zum Rotwild und anderen hirschartigen in ihren Referenzen aufweisen. Das gleiche Bild bei Prof. Herzog: Referenzen zu ähnlichen Wildtieren mit ähnlichen Methodiken. Auch hier: nichts spricht gegen die derzeitige Kooperation.

Die plötzliche Stimmungsschwankung der Hegegemeinschaft lässt sich objektiv zumindest nicht erklären. Selbst die bisher angekündigten inhaltlichen Schwerpunkte gleichen doch – mit Ausnahme der Fütterung – den ursprünglichen Forderungen der Hegegemeinschaft. Vielleicht ist das gerade der springende Punkt: Prof. Herzog schließt eine Fütterung nämlich nicht konsequent aus. Doch damit steht er bei den Wildtierforschern relativ alleine da. Zitat Dr. Wölfel:

“Die Massenhaltung von Wildtieren in Jagdrevieren ist mit einem ethischen Grundgedanken der Jagd, von Natur- und Tierschutz genauso wenig vereinbar wie landwirtschafliche Zucht- Fütterungs- oder Stallpraktiken und tierärztliche Manipulationen.”

Auch Ulrich Wotschikowsky hat beim Winterkolloquium klar durchblicken lassen, dass er von Fütterungen bei Wildtieren nichts hält. Das sehen wir genau so. Der Winter ist ein natürlicher Flaschenhals und entscheidender Selektionsfaktor. Die Lebensraumkapazität eines Biotopes zeigt sich zudem erst im Winter – Fütterungen halten die Dichte also künstlich hoch. Davon profitiert allein der Jäger.

Das traurige Fazit: Es geht in Sachen Rotwild schon längst nicht mehr um Inhalte, sondern um Macht und politische Einflussnahme. Die Argumentationen der Hegegemeinschaft sind dabei auf dem Niveau einer Daily Soap angelangt. Ihr immerzu bekräftigte Rückendeckung ist eine Illusion. Bauern und Grundbesitzer hatten jüngst im Bauernblatt geschrieben: ‘Das Rotwild gehört zur Kulturlandschaft, ist in seinem Bestand aber gewiss nicht bedroht’ und die Fortführung der bisherigen Bejagungsstrategie gefordert. Bei den Naturschutzverbänden ist es ähnlich. Der NaBu mittleres Erzgebige ist für die Unterstützung der Petition gar vom Landesverband gerügt worden. Wir blicken hier auf einen Stellvertreterkrieg der Jagdpächter auf dem Rücken der Artenvielfalt und Stabilität der Wälder. Die Beteiligten verkennen dabei, dass auch die Jagd an sich die Leidtragende ist.